Generationendenken

In einer Zeit, in der landwirtschaftliche Entscheidungen oft von kurzfristigem Ertragsdenken und technischer Machbarkeit geprägt sind, stellt sich eine grundlegende Frage: Wirtschaften wir so, dass auch kommende Generationen noch fruchtbare Böden und lebenswerte Lebensräume vorfinden?

Die Landwirtschaft ist seit jeher ein generationenübergreifendes Handwerk – verbunden mit Wissen, Erfahrung und Verantwortung. Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich das Verhältnis zum Boden verändert: Aus einem lebendigen Mitspieler wurde vielfach ein zu maximierender Produktionsfaktor. Dieser Wandel fordert uns heraus, neue Fragen zu stellen, alte Werte neu zu denken – und wieder in Generationen zu denken und auch zu handeln.

Generationendenken: Jenseits des kurzfristigen Profits

Die moderne Landwirtschaft ist heute häufig geprägt von kurzfristigen Zielsetzungen: Maximale Erträge, höchste Effizienz, technologische Aufrüstung. Dabei gerät ein zentraler Grundsatz aus dem Blick: Die Landwirtschaft ist nicht nur ein Beruf, sondern ein über Generationen weitergetragenes Kulturgut. Der Boden, auf dem wir wirtschaften, ist nicht unser Besitz – er ist nur geliehen von unseren Kindern und Enkelkindern bzw. den Menschen, die nach uns kommen werden.

Ein Denken, das zukünftige Generationen mit einbezieht, ist dringend notwendig. Denn was nützt uns ein kurzfristiger Überschuss an Produktion, wenn wir den Preis dafür mit übersäuerten, ausgelaugten und unbrauchbaren Böden bezahlen – Böden, auf denen unsere Nachkommen nichts mehr anbauen können?

Generationenwissen statt zentriertes Expertendenken

Traditionell beruhte die Landwirtschaft auf Weitergabe von Wissen innerhalb der Familien und über Generationen hinweg, wie Hubert Stark in unserem Podcast erklärt. Bauern und Bäuerinnen kannten ihren Boden, ihr Mikroklima, ihre Pflanzen – nicht aus Lehrbüchern, sondern aus Beobachtung, Erfahrung und Gesprächen mit anderen Landwirten.

In den letzten 100 Jahren hat sich dieses Wissen jedoch zunehmend zentralisiert – in Wissenschaft, Beratungsinstitutionen und Agrarkonzernen. Landwirte und Landwirtinnen sprechen immer weniger miteinander, so Stark und die individuelle Erfahrung vor Ort tritt zunehmend hinter abstrakte „Standardlösungen“ zurück. Doch kein Boden gleicht dem anderen. Jede Parzelle, jede Region hat ihre eigene Geschichte, Zusammensetzung und ihr eigenes Gleichgewicht.

Die Wissenschaft kann natürlich helfen, doch es braucht viel mehr als zentralisierte Standarddaten: ein Gespür, ein Verhältnis zum Boden. Nur so entstehen Antworten, die nicht nur effizient, sondern vor allem auch sinnvoll und nachhaltig sind.

Technik ist kein Ersatz für Verständnis

Technische Lösungen können hilfreich sein – aber sie dürfen das Denken nicht ersetzen. Viele glauben, dass man mit ausreichend Technik jedes Problem lösen könne. Doch wahres landwirtschaftliches Handeln beginnt, laut Stark erst mit dem Stellen der richtigen Fragen:

  • Warum wächst dieses „Unkraut“ genau hier?
  • Warum tritt dieser sogenannte „Schädling“ auf?
  • Was sagt uns das über das ökologische Gleichgewicht unseres Betriebs?

Das klassische Denken in Kampfbegriffen – Unkraut bekämpfen, Schädlinge vernichten – ist nicht nur ein riesiges Geschäft, es hält Landwirtinnen und Landwirte auch in einem Dauerzustand der Verteidigung. Doch Kampf ist kein Dauerzustand – er ist ein Geschäftsmodell, so Stark. Und dieses Modell hat wenig Platz für echte Nachhaltigkeit oder langfristige Verantwortung.

Ein Ansatz, der den Boden als lebendiges, empfindsames System begreift, öffnet dagegen neue Perspektiven. Er führt nicht zum Krieg gegen die Natur, sondern zu einem Dialog mit ihr.

Reproduktion statt Ausbeutung – Nancy Fraser und der Wert des Bodens

Die Philosophin Nancy Fraser unterscheidet zwischen Produktion und Reproduktion. Während sich die klassische Ökonomie vor allem mit der Produktion – also dem „Output“ – beschäftigt, weist Fraser darauf hin, dass Reproduktion mindestens ebenso wichtig ist: die Pflege, Erhaltung und Wiederherstellung der Grundlagen des Lebens.

In der Landwirtschaft heißt das: Böden dürfen nicht nur ausgebeutet werden, um kurzfristig hohe Erträge zu erzielen. Wenn wir sie dabei zerstören und nicht mehr regenerieren, hinterlassen wir den kommenden Generationen ein ökologisches Trümmerfeld.

Die industrielle Landwirtschaft läuft Gefahr, genau das zu tun: Böden werden durch Überdüngung, Monokulturen und chemische Behandlung ausgelaugt und unfruchtbar gemacht. Der Ertrag steigt – kurzfristig. Doch der Preis ist hoch: Biodiversitätsverlust, Bodenerosion, Klimabelastung, Verlust der Bodenfruchtbarkeit.

Generationendenken und enkeltauglich wirtschaften – aus Verantwortung und Weitsicht

„Enkeltauglich“ ist ein Begriff, der in bäuerlichen Kreisen immer öfter fällt – und das zu Recht. Denn Landwirtschaft muss sich daran messen lassen, ob sie zukünftigen Generationen Handlungsspielräume erhält und nicht, ob sie im Moment finanzielle Mehrwerte erzielt. Es geht nicht nur darum, ob wir heute noch wirtschaften können, sondern ob unsere Enkelkinder es auch noch können.

Das bedeutet:

  • Böden regenerieren statt ausbeuten
  • auf biologische und regionale Wirtschaftskreisläufe setzen
  • Wertschätzung statt Wegwerfproduktion
  • kleinräumige, anpassungsfähige Systeme statt globaler Einheitsmodelle
  • den Dialog zwischen Generationen, Regionen und Betrieben wieder aktivieren

Generationendenken: Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern Verantwortung

Wenn wir nur in Massen, Margen und Märkten denken, verlieren wir den Blick für das Wesentliche: den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Wir brauchen keine „nachhaltige Produktion“, sondern ein nachhaltiges Verhältnis zur Welt – zu Böden, Tieren, Pflanzen, Menschen. Und das beginnt mit einem Denken in Generationen.

Es ist wichtiger denn je, biologisch, regional und im Sinne des Langfristigen zu wirtschaften. Denn jeder Hektar Boden, der heute verantwortungsvoll behandelt wird, ist ein Geschenk an die Zukunft – und jede Ausbeutung ein Raub an denen, die nach uns kommen. Wir dürfen unseren Nachkommen ganz einfach keinen Planeten hinterlassen, auf dem zwar einmal viel produziert wurde, aber mittlerweile gar nichts mehr wächst.


Titelbild @ Holly Landkammer via Unsplash (Zugriff 09.07.2025)