
Marc Lore ist einer der einflussreichsten Unternehmer der US-Tech- und Handelswelt. Jetzt will er die Gastronomie neu erfinden. Mit seinem Unternehmen Wonder verbindet Lore High-Tech, kulinarische Vielfalt und ein Lieferkonzept zu einem radikal neuen Ansatz. Wir haben uns sein Modell etwas näher angesehen.
Marc Lore: Von Windeln zum Food-Tech-Pionier
Marc Lore ist zumindest in den USA kein Unbekannter. Er startete seine Unternehmerkarriere 2005 mit Diapers.com, einem Onlinehändler für Babybedarf, den er 2010 für rund 544 Millionen US-Dollar an Amazon verkaufte. Danach gründete er Jet.com, eine E-Commerce-Plattform, die mit aggressiver Preisstrategie den Onlinehandel aufmischen wollte. 2016 kaufte Walmart Jet.com für etwa 3,3 Milliarden US-Dollar – einer der größten Deals in der Geschichte des Unternehmens. Lore blieb daraufhin mehrere Jahre als CEO von Walmart US eCommerce und trieb den digitalen Wandel des Handelsriesen voran, bevor er sich wieder eigenen Projekten widmete.
Heutzutage steht Lore mit seinem neuen Unternehmen Wonder an der Spitze einer möglichen Revolution in der Lebensmittelbranche. Dabei verbindet er High-Tech, Gastronomie und (auch wirtschaftliche) Nachhaltigkeit in einem bisher einzigartigen Modell. Sein Ziel: Die Art, wie wir Lebensmittel auswählen, zubereiten und konsumieren, grundlegend neu zu denken – und dabei Qualität, Nachhaltigkeit und Technologie zu verbinden. Mit den Übernahmen von Blue Apron (ein Anbieter von Lebensmittelpaketen, die Zutaten und Rezepte enthalten und zum Kochen an Kunden versendet werden) und GrubHub (ein Lieferdienst) hat er nicht nur große Namen an Bord geholt, sondern auch den Grundstein für ein revolutionäres Geschäftsmodell gelegt.
Vertikale Integration: Der etwas andere Essenlieferdienst
Lore selbst kennt die Frustration, wenn bestelltes Essen zu spät oder kalt geliefert wird. Eine andere Herausforderung die jeder kennt: Man bestellt als Familie Abendessen, doch natürlich hat jeder und jede Lust auf etwas anderes. Marc Lores Lösungsansatz für dieses und andere Problem: Wonder. Wonder ist dabei nicht nur ein weiterer Lieferdienst, sondern übernimmt auch gleich die Zubereitung der Speisen.
Doch nicht einfach irgendwie, sondern im Food-Tech-Style. In einer einzigen, hochoptimierten „Multi-Kitchen“ können bei Wonder 30 verschiedene Küchenrichtungen – von Thai über Griechisch bis Indisch und mehr – auf nur 260 m², mit lediglich zwei standardisierten Kochgeräten, zubereitet werden. Offene Flammen oder Gasherde sind passé, ebenso der Bedarf an hochspezialisierten Köchen.
Marc Lores Wonder: Über 560 Gerichte zur Auswahl
Wonder kombiniert dabei Feinkostqualität mit schneller Zubereitung: Gerichte von prominenten Spitzenchefs wie Bobby Flay, José Andrés oder Marcus Samuelsson werden in zentralen Küchen vorproduziert und standardisiert. Das führt dazu, dass Wonder über 560 Gerichte aus 30 unterschiedlichen Küchen anbieten kann und das aus nur einer einzigen Küche vor Ort. Trotz der Vorproduktion in zentralen Küchen sind die Gerichte nicht tiefgefroren sondern werden vor Ort erst fertiggekocht. Wie das genau funktioniert?
Die Wonder-Küche von Marc Lore
Ein zentrales Merkmal des Wonder-Konzepts ist eben diese besondere Art der Zubereitung. Die Gerichte werden in zentralen Produktionsküchen nach den Originalrezepten der Partnerköche vorbereitet: Frisch, aber nicht tiefgefroren! Stattdessen gelangen sie in einem gekühlten Zustand in die lokalen Wonder-Küchen, wo sie den entscheidenden Feinschliff erhalten.
In den stationären Wonder-Küchen werden die gelieferten Komponenten à la minute kombiniert und finalisiert. Dort setzen die Teams auf Hochleistungsöfen und speziell entwickelte Zubereitungssysteme, die es ermöglichen, ein Gericht in wenigen Minuten fertigzustellen – sei es durch Rösten, Glasieren oder das finale Anrichten. Auf diese Weise verbindet Wonder die Vorteile standardisierter Vorbereitung mit der Frische und Qualität einer Restaurantküche. Das Ergebnis sind Gerichte, die wie frisch gekocht wirken, dabei aber in gleichbleibender Qualität und mit hoher Effizienz serviert werden können.
Das Wonder-Konzept unterscheidet sich damit sowohl von klassischen Lieferdiensten (die nur liefern), der Systemgastronomie (die tiefgefrorene Ware nutzen) als auch von reinen Restaurants (wo alles von Grund auf gekocht wird). Es ist somit eine hybride Form aus den Elementen Frische + Effizienz + Konsistenz.
Innovation der out of home kitchen
Für Wonder ergeben sich durch dieses innovative Modell gleich mehrere Vorteile. Einerseits spart sich das Unternehmen die Zusammenarbeit mit klassischen Lieferdiensten, da es selbst die gesamte Logistik kontrolliert und damit Qualität, Geschwindigkeit und Kundenerlebnis in der eigenen Hand behält. Was natürlich sehr viele Kosten spart. Denn laut dem Standard müssen Restaurants bis zu 35 Prozent an Abgaben an die Lieferdienste zahlen.
Gleichzeitig kann Wonder ein außergewöhnlich breites Angebot schaffen, weil es nicht an ein einzelnes Restaurantkonzept gebunden ist. Diese Vielfalt spricht unterschiedliche Geschmäcker an und steigert die Attraktivität für eine breite Zielgruppe. Zudem ermöglicht die zentrale Vorproduktion eine gleichbleibend hohe Qualität, effizientere Abläufe und eine bessere Kostenkontrolle. All das macht Wonder nicht nur zu einem Restaurant, sondern zu einer skalierbaren Plattform, die kulinarische Vielfalt mit zuverlässiger Lieferung kombiniert. Mehr als ein Lieferdienst – ein Ernährungssystem der Zukunft.
Marc Lore: Die Art zu Essen neu gedacht
Marc Lores Wonder ist nicht einfach ein weiterer Player im Liefermarkt. Es ist der Versuch, die gesamte Lebensmittelkette – von der Auswahl über die Zubereitung bis zur Lieferung – in ein intelligentes, nachhaltiges System zu überführen. Wie erfolgreich dieses Konzept noch werden wird, ist nicht vorhersehbar. Doch allein vom Grundansatz her haben wir es mit einer vielleicht revolutionierenden Innovation zu tun. Vor allem in ländlichen Regionen sei Wonder extrem erfolgreich, so Lore. Vermutlich aus dem Grund, weil es dort, im Vergleich zu den Städten, eben keine wirklich international aufgestellte Gastronomie gibt. Ein Problem, das Wonder wahrlich zu lösen vermag.
Das Wonder-Modell und Bio
Auch wenn dieser Zusammenhang nicht sofort einleuchtet, so bietet dieses Wonder-Konzept auch einen möglichen Vorteil für eine rein biologische Ernährung. Einer dieser Vorteile des Wonder-Modells im Hinblick auf eine biologische Ernährung liegt vor allem in der zentralisierten Produktion. Da viele Gerichte in wenigen spezialisierten Küchen vorbereitet werden, können größere Mengen an Bio-Lebensmitteln gebündelt eingekauft werden – oft direkt von Erzeugern. Dies senkt die Kosten und erhöht zugleich jedoch auch die Versorgungssicherheit.
Durch die standardisierten Abläufe und die enge Kontrolle der Lieferketten lässt sich außerdem leichter nachweisen, dass Zutaten aus biologischem Anbau stammen. Gleichzeitig reduziert das Wonder-System vor allem auch die Lebensmittelverluste. Denn vorportionierte Gerichte bedeuten, dass weniger überschüssige Rohwaren verderben. Das Wonder-System könnte Bio-Produkte, die tendenziell teurer sind, wirtschaftlicher einsetzbar machen. Für Konsument:innen könnte so ein direkter Zugang zu Bio-Optionen in der Essenslieferung zustande kommen – frisch zubereitet, vielfältig und mit höherer Transparenz.
Titelbild © Lily Banse via unsplash (Zugriff 16.09.2025)