
Die Landwirtschaft erlebt seit einigen Jahren einen digitalen Umbruch. Was in Bereichen wie Pflanzenbau oder Fütterung längst etabliert ist, hält nun auch in der Fleischklassifizierung Einzug: Künstliche Intelligenz (KI) unterstützt Fachkräfte in Schlachthöfen und Klassifizierungsdiensten bei der täglichen Arbeit. Dabei geht es nicht darum, den Menschen zu ersetzen, sondern durch Assistenzsysteme objektivere, effizientere und verlässlichere Prozesse zu schaffen. Besonders in Oberösterreich, wo jährlich hunderttausende Rinder und Schweine klassifiziert werden, gewinnt diese Entwicklung zunehmend an Bedeutung.
Warum Klassifizierung notwendig ist
Die Klassifizierung von Schlachttieren folgt einer klaren gesetzlichen Grundlage. Schlachthöfe mit mehr als 20 Rindern oder 60 Schweinen pro Woche sind verpflichtet, einen anerkannten Klassifizierungsdienst zu beauftragen. Dabei übernehmen Klassifizierer:innen vielfältige Aufgaben. Von der Identifizierung der Tiere über die Handelsklassenfeststellung bis hin zur Kontrolle der Zurichtnormen, der Dokumentation und der Kennzeichnung für Qualitätsprogramme wie das AMA-Gütesiegel.
Damit wird sichergestellt, dass Fleisch objektiv nach Muskelfülle und Fettabdeckung bewertet wird und Landwirt:innen wie Handelspartner:innen nachvollziehbare und faire Preise erhalten. Bislang beruhte diese Einstufung vor allem auf der geschulten Einschätzung der Klassifizierer:innen – ein Prozess, der naturgemäß eine gewisse Subjektivität in sich trägt. Genau hier setzt jedoch die KI an und bietet eine objektivierte Perspektive. Wir haben uns angesehen, wie diese KI-Lösungen in der Fleischklassifizierung genau aussehen.
KI-gestützte Lösungen in der Fleischklassifizierung
KI zur Rinderklassifizierung
Eine der spannendsten Entwicklungen ist die KI-gestützte Rinderklassifizierung. Kameras erfassen Schlachtkörper von mehreren Perspektiven und die KI stuft anschließend Fleisch- und Fettklasse ein. Ziel ist es, die bisher subjektive Einstufung stärker zu objektivieren.
Das System arbeitet als Assistenzlösung. Der oder die Klassifizierende stuft das Tier ein und die KI berechnet parallel ihre Einschätzung. Stimmen beide Ergebnisse überein, passiert nichts. Weichen sie voneinander ab, erscheint ein Hinweisfenster. So kann der oder die Klassifizierende die Bewertung noch einmal überprüfen. Hierbei handelt es sich somit um eine Absicherung besonders an langen Arbeitstagen, an denen die Gefahr von Fehlern steigt.
Produkterkennung in Zerlegebetrieben
Ein weiteres Feld, das die KI gerade erobert, ist die Produkterkennung. Hier fotografieren Kameras Fleischstücke in Transportkisten und die KI erkennt anhand des Bildes den Artikel (z. B. Tomahawk, Kotelett). Bislang mussten Mitarbeiter:innen diese Produkte manuell in Katalogen mit über 100 Artikeln identifizieren. Durch die KI wird dieser Prozess beschleunigt und zugleich die Fehlerquote gesenkt.
Schlachtnummernerkennung
Für die Rückverfolgbarkeit und Dokumentation ist die eindeutige Schlachtnummer unverzichtbar. KI-Systeme können diese Nummer mittlerweile vollkommen automatisch von den Schlachtkörpern erfassen. Damit entfällt die fehleranfällige manuelle Eingabe, und die Prozesssicherheit steigt erheblich.
Schweineschwanz-Erkennung
Ein erfolgreiches KI-Projekt wurde in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium umgesetzt. Die Künstliche Intelligenz erkennt dabei anhand von Bildern die Länge und den Zustand von Schweineschwänzen. Warum das relevant ist? Damit lassen sich Rückschlüsse auf Haltungsbedingungen und Tierwohl ziehen. Ein immens wichtiger Aspekt für Qualitätsprogramme und Kontrollen.
Assistenzsysteme in der Veterinärdiagnostik
In Deutschland laufen bereits Pilotprojekte, bei denen KI bei den Befunden für Organe und der Erkennung von Ohrläsionen eingesetzt wird. Auch die Geschlechterkennung von Schweinen ist ein Thema. Mithilfe von Bildanalysen und Hodengrößen kann die KI das Risiko von Ebern (Boar Taint) einschätzen – ein Beitrag für höhere Fleischqualität.
Diese Systeme nutzen kamerabasierte Algorithmen zur Identifikation männlicher Tiere und vor allem zur Detektion von Merkmalen bei Testikeln, die mit einem erhöhten Ebergeruch assoziiert sind. Auf Basis dieser bildgestützten Datenauswertung ist es möglich, bereits vor der Schlachtung gezielt Tiere mit hohem Boar-Taint-Risiko zu selektieren und so einen Beitrag zur Fleischqualitätsverbesserung zu leisten
Weitere digitale Assistenzsysteme
Neben KI-basierten Projekten gibt es auch Lösungen, die in angrenzenden Bereichen zum Einsatz kommen:
- Elektronische Ohrmarkenerkennung in Versteigerungshallen erleichtert die Tieridentifizierung.
- Fotodokumentation jedes Schlachttiers dient der Nachvollziehbarkeit bei Reklamationen.
- Digitale Tierbewegungsdokumentation berechnet Transportwege, was für Qualitätsprogramme und Tierwohlprüfungen relevant ist.
Von Fotos zu Videos: Ein nächster Entwicklungsschritt
Eine der größten Herausforderungen für KI-Systeme liegt natürlich in der Bildqualität. Statische Bilder zeigen nicht immer alle relevanten Körperbereiche, etwa die Bauchhöhle für die Fetteinstufung. Der aktuelle Ansatz setzt daher auf videobasierte Systeme, die vollständige Profile erfassen und damit deutlich präzisere Ergebnisse ermöglichen.
Biofleisch und KI-gestützte Klassifizierungssysteme
Gerade im Bereich Biofleisch können KI-gestützte Klassifizierungssysteme einen wichtigen Beitrag leisten. Denn Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Objektivität sind hier zentrale Werte, die sowohl Konsument:innen als auch Produzent:innen erwarten. Während die herkömmliche Klassifizierung oft subjektiv geprägt ist, ermöglichen KI-gestützte Systeme eine standardisierte und reproduzierbare Einstufung.
Das stärkt auch das Vertrauen in die Qualität von Biofleisch, erleichtert die Vermarktung und schafft eine zusätzliche Absicherung für Markenprogramme. Zudem können KI-Assistenzsysteme helfen, Schwankungen in der Bewertung zu reduzieren und damit langfristig für eine fairere Entlohnung der Landwirt:innen sorgen. So wird deutlich: Künstliche Intelligenz ersetzt nicht die Fachkompetenz der Klassifizierenden, sondern ergänzt diese sinnvoll – zum Vorteil von Produzent:innen, Handel und Konsument:innen im Biofleischsektor.
Fazit: Unterstützung statt Ersatz
Die vorgestellten KI-Lösungen zeigen, dass moderne Technologien auch in der Fleischklassifizierung längst angekommen sind. Sie helfen, Prozesse objektiver, effizienter und transparenter zu gestalten. Von der Klassifizierung über die Rückverfolgbarkeit bis hin zur Dokumentation.
Doch klar ist auch: Die KI soll den Menschen nicht ersetzen, sondern ihn unterstützen. Die Expertise und Erfahrung der Klassifizierenden bleibt unverzichtbar, denn Fleischqualität ist ein komplexes Zusammenspiel aus Merkmalen, das weit über reine Daten hinausgeht. KI wird daher als wertvolles Werkzeug verstanden, das die Arbeit erleichtert und die Qualitätssicherung auf eine neue Stufe hebt.
Titelbild © Sonnberg Biofleisch
