Wert und Preis

Lebensmittel sind heute so günstig wie nie zuvor – und dennoch wird in Politik und Gesellschaft ständig über „zu hohe Preise“ diskutiert. Dieser Fokus auf Billigangebote verstellt den Blick auf das Wesentliche: Nahrungsmittel sind mehr als nur ein Kostenfaktor im Haushaltsbudget. Sie haben einen Wert, der Tierwohl, Umwelt, Gesundheit und soziale Fairness umfasst. Wer nur auf den Preis schaut, übersieht die tatsächlichen Kosten, die durch billige Produktion entstehen und letztlich von der gesamten Gesellschaft getragen werden.

Der Wert und sein Preis

Lebensmittel sind das Fundament unseres Lebens. Doch in der öffentlichen Diskussion geht es oft nur um eines: den Preis. Politiker:innen kritisieren die hohen Kosten, die Konsument:innen verlangen nach billigen Angeboten, und die Supermarktketten überbieten sich reihenweise mit teils irreführenden Rabatten.

Dabei gerät bei all der Preisschlacht aus dem Blick, dass Lebensmittel einen Wert haben, der weit über den Kassenzettel hinausgeht. Doch das wird nicht gesehen. Stattdessen folgt die Gesellschaft einer Ideologie, die suggeriert, Nahrung müsse jederzeit und überall möglichst günstig verfügbar sein. Dieses Denken ist nicht nur gefährlich für Umwelt und Landwirtschaft, sondern auch kurzsichtig im Hinblick auf unsere Zukunft.

Ein historischer Vergleich

Ein Blick zurück zeigt, wie stark sich unser Verhältnis zu Lebensmitteln verschoben, ja verzerrt hat. Vor 100 Jahren musste ein Facharbeiter in der Metallindustrie knapp drei Stunden für ein Kilo Brot arbeiten. Heute sind es gerade einmal elf Minuten. 1925 gaben österreichische Haushalte rund 60 Prozent ihres Einkommens allein für Nahrung aus, die sich hauptsächlich aus Brot, Kartoffeln und Mehlspeisen zusammensetzte.

Heute liegt der Anteil bei nur noch lediglich  12 Prozent. Der Zuwachs an Kaufkraft ist also enorm, und die Industrialisierung der Landwirtschaft hat die Kosten zusätzlich gedrückt. Lebensmittel sind also, wenn man es recht bedenkt und das größere Bild sieht, so erschwinglich wie nie zuvor. Und doch wird ständig nach billigeren Preisen gerufen.

Zum vollständigen Vergleich: Der Anteil des Einkommens, der für Essen und Trinken ausgegeben wird – die Verpflegung in der Gastronomie nicht eingerechnet! – stagniert seit etwa zehn Jahren. 1954 wurden in Österreich knapp 45 Prozent des Einkommens, 1974 noch 27 Prozent davon für Lebensmittel ausgegeben. Mittlerweile verschlingen Freizeit, Sport und Verkehr deutlich mehr Haushaltsgeld. Von Wohnen und Energie nicht zu reden. Die Lebensmittel sind also gar nicht einmal das wirkliche Problem.

Der Denkfehler der „billigen Nahrung“

Wer auf immer billigere Produkte pocht, blendet dabei die komplexen Hintergründe aus: Tierwohl, Bodenqualität, Wasserressourcen, Klimafolgen, faire Bezahlung in der Landwirtschaft und die Kostenwahrheit. All diese Elemente werden aus der Preisdebatte systematisch ausgeklammert. Politik und Wirtschaft tragen zu diesem falschen Bild bei, indem sie „zu hohe Preise“ skandalisieren, statt die wahren Kosten offenzulegen.

Die unsichtbaren Kosten

In Wahrheit zahlen wir für billige Lebensmittel nämlich längst drauf – nur an anderen Stellen. Belastetes Trinkwasser muss aufwendig aufbereitet werden, ausgelaugte Böden mindern langfristig die Erträge, und klimaschädliche Produktionsweisen erhöhen die gesellschaftlichen Kosten für Gesundheit und Umwelt.

Diese Folgekosten erscheinen nicht auf dem Kassenbon, landen aber über Steuern und Abgaben bei uns allen. Der vermeintlich „beste Deal“ im Supermarkt ist also in Wahrheit eine Mogelpackung. Wir sparen beim Einkaufen, zahlen aber doppelt und dreifach an anderer Stelle.

Ein neuer Blick auf den Wert von Lebensmitteln

„Statt Lebensmittelpreise reflexartig als „zu hoch“ zu brandmarken, braucht es einen Kulturwandel im Denken. Essen hat einen Wert, der sich nicht allein in Euro ausdrücken lässt.“, erläutert Anton Juffinger, Gründer der ersten (und einzigen) Bio-Metzgerei im Westen Österreichs.

Der Wert und sein Preis: Fazit

Unsere Gesellschaft hat sich an den Luxus billiger Lebensmittel gewöhnt. So sehr, dass wir deren eigentlichen Wert aus den Augen verloren haben. Doch die Rechnung dafür zahlen wir alle, nur eben versteckt. Wenn wir über Preise reden, müssen wir deshalb auch über Kostenwahrheit sprechen: über Wasser, Böden, Klima und soziale Gerechtigkeit. Lebensmittel dürfen nicht länger als Ramschware betrachtet werden. Sie sind Lebens-Mittel – und sollten auch als solche behandelt werden.


Titelbild © Sonnberg