Fleisch Faktor 70

Was 647 Millionen Euro mit einem Fleisch-Faktor 70 zu tun haben? Und warum der Streit um „vegane Schnitzel“ mehr über uns verrät als über die Produkte selbst.

Der Wert veganer und vegetarischer Fleischproduktion

647,1 Millionen Euro. So hoch war im vergangenen Jahr der Produktionswert von veganen und vegetarischen Fleischalternativen in Deutschland. Burger-Patties aus Erbsenprotein, Soja-Schnitzel und Tofu-Würstchen boomen. Zumindest gefühlt!

Doch dieser Eindruck täuscht. Denn setzt man diese Zahl ins Verhältnis zur klassischen Fleischproduktion, wird das Ausmaß der Realität sichtbar. Fleisch und Fleischerzeugnisse wurden im selben Zeitraum nämlich in einem  Gesamtwert von 44,3 Milliarden Euro hergestellt. Das entspricht einem Verhältnis von 1 zu 70 – oder anders gesagt: Fleisch schlägt Fleischersatz um den Faktor 70.

Auch Biofleisch beliebter als fleischfreie Alternativen

Der Wert des in Deutschland produzierten Biofleischs ist im direkten Vergleich mit konventionellem Fleisch und Fleischersatz auch weiterhin eine kleine Nische. Biofleisch machte zuletzt rund 3,9 Prozent des gesamten in Deutschland gekauften Fleischs aus (Stand 2022).

Der Umsatz von Bio-Fleisch und Wurstwaren ist 2024 um 5,8 Prozent gestiegen, bei Rotfleisch lag der Anstieg bei 4,6 Prozent. Der Umsatz mit Geflügel ging dagegen um 4,7 Prozent zurück.

Aber wenn man nun von einem 3,9 Prozent Marktanteil und dem gesamten Produktionswert von Fleisch ausgeht und gegenrechnet (0,039 x 44,3 Milliarden Euro) dann kommt man auf einen ca. 1,73 Milliarden Euro, die in Deutschland für Biofleisch ausgegeben werden. Was mehr als doppelt so viel ist, wie der Wert von Fleischalternativen.

Politik zwischen Proteinen und Prinzipien

Trotz dieses riesigen Unterschieds entzündet sich an pflanzlichen Fleischalternativen eine Debatte, als würde die Zukunft der europäischen Esskultur auf dem Spiel stehen. Eine Mehrheit der EU-Abgeordneten stimmte kürzlich dafür, Begriffe wie „Wurst“, „Steak“ oder „Schnitzel“ für vegane Produkte zu verbieten. Das Argument: Verbraucherschutz. Die Befürchtung: Menschen könnten die Produkte verwechseln.

Der niedersächsische Wirtschaftsminister Grant Hendrik Tonne (SPD) sieht darin keinen Verbraucherschutz, sondern „Kulturkampf und Lobbyismus im Namen der Fleisch-Wurst“. Und tatsächlich. Der Blick auf die Zahlen zeigt, dass es wohl weniger um die Marktmacht pflanzlicher Alternativen geht als vielmehr um symbolische Verteidigung traditioneller Werte.

Thomas Reisinger von Sonnberg Biofleisch zu der Debatte:

„Wir begrüßen grundsätzlich alle Maßnahmen, die zu mehr Transparenz für Konsumentinnen und Konsumenten beitragen. Ob die aktuelle Diskussion über Produktbezeichnungen tatsächlich entscheidend sein wird, bleibt noch abzuwarten. Aus unserer Erfahrung liegt die größere Herausforderung jedoch woanders – nämlich im Informationsdefizit rund um Bio und vor allem Biofleisch. Viele Menschen wissen nämlich gar nicht genau, worin sich biologische und konventionelle Tierhaltung und Lebensmittelproduktion genau unterscheiden. Genau hier setzt unsere Arbeit als Plattform an: Wir wollen Bewusstsein schaffen, aufklären und zeigen, warum Biofleisch eine echte Alternative für mehr Nachhaltigkeit und Tierwohl ist.“

Ein Nischenprodukt mit Wachstumspotenzial

Die pflanzliche „Fleischproduktion“ wächst zwar, doch bleibt sie bislang ein Nischenmarkt. Der Unterschied von Faktor 70 ist gewaltig. Und zugleich ein Symbol für den Umbruch, der erst am Anfang steht. Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher achten auf Tierwohl, Nachhaltigkeit und Klimabilanz.

Doch warum auf Fleisch verzichten? Die Nachfrage nach Alternativen zu konventionellen Fleischprodukten steigt. Doch wenn man Biofleisch ebenfalls als Alternative anerkennt, vor allem, weil dort auch im Wohle des Tieres, im Sinne der Nachhaltigkeit und zum Wohle des Klimas gearbeitet wird, dann lässt sich hier auch ein Trend zu mehr Biofleisch herauslesen. Noch viel eher, als ein Trend zu veganer und vegetarischer Ernährung.

Mehr als ein Zahlenvergleich

Der Faktor 70 ist mehr als eine statistische Relation. Er steht sinnbildlich für die Spannweite zwischen Tradition und Wandel, zwischen Massenproduktion und Experimentierfreude, zwischen Gewohnheit und Verantwortung.

Fleischalternativen haben die Ernährung nicht revolutioniert – noch nicht. Aber sie haben eine Diskussion angestoßen, die längst über Tofu-Würstchen hinausgeht: Wie viel Tierwohl, Umweltbewusstsein und Transparenz darf, kann oder muss sich unsere Gesellschaft leisten? Und welche Rolle spielt Sprache dabei, wenn ein pflanzlicher „Burger“ nicht mehr so heißen darf?

Biofleisch als Kompromiss

Doch während sich Fleischalternativen und die konventionelle Fleischproduktion unversöhnlich gegenüberstehen, lohnt sich der Blick auf eine dritte Option: Biofleisch. Es verbindet die ethischen Werte pflanzlicher Ernährung – Tierwohl, Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Respekt vor der Natur – mit dem bewussten Genuss tierischer Produkte.

Biofleisch steht für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Tier als Lebewesen, nicht als Ware. Es anerkennt den Wert von Fleisch, ohne die Augen vor den ökologischen und moralischen Konsequenzen zu verschließen.

Im Gegensatz zur industriellen Massenproduktion setzt Biofleisch auf kurze Transportwege, artgerechte Haltung, natürliche Fütterung und transparente Herkunft. Damit ist es kein Widerspruch zur modernen Ernährungsdebatte, sondern ein realistischer, bodenständiger Kompromiss: ein Weg, Fleisch zu essen – aber mit Haltung, Bewusstsein und Würde.


Titelbild © Sonnberg Biofleisch