
Weidetiere – vor allem Rinder – stehen oft in der Kritik, weil sie als Klimasünder und Umweltbelaster gelten. Doch diese Sicht greift zu kurz. Denn Rinder, Schafe und Ziegen spielen eine entscheidende Rolle für fruchtbare Böden, den Erhalt der Artenvielfalt und eine wirklich nachhaltige Landwirtschaft.
Zwischen Massentierhaltung und Weidewirtschaft
Massentierhaltung steht zurecht in der Kritik: Sie ist schlecht für das Tierwohl, belastet das Klima und verschlechtert die Umwelt. Zudem essen wir in den Industrienationen deutlich mehr Fleisch, als gesund oder nachhaltig wäre. Doch in der Debatte um weniger Fleischkonsum droht ein zentraler Aspekt vergessen zu gehen: Nicht jede Tierhaltung ist gleich problematisch. Richtig eingesetzt, sind Weidetiere wie Kühe, Schafe und Ziegen nämlich keine Belastung. Ganz im Gegenteil, sie sind ein zentraler Pfeiler nachhaltiger Landwirtschaft. Sie helfen, unsere Böden fruchtbar zu halten, das Klima zu schützen und die Artenvielfalt zu bewahren.
Grasland: Eine vergessene Ressource
Etwa zwei Drittel der weltweiten Landwirtschaftsfläche sind sogenanntes permanentes Grasland – Flächen, die zu steil, zu trocken oder zu karg sind, um sie zu pflügen oder für den Ackerbau zu nutzen. In der Schweiz ist die Situation ähnlich. In Österreich, zum Vergleich, stellt besagtes Grünland rund 57 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche dar und dominiert vor allem den alpinen Raum. Das österreichische Grünland wird dabei zur Hälfte als Wirtschaftsgrünland (Wiesen und Weiden) und extensives Grünland (Almen und Bergmähder) genutzt. Für den Menschen ist dieser Landtypus zwar nicht direkt nutzbar. Denn unser menschliches Verdauungssystem ist nicht darauf ausgelegt diese Grastypen bzw. Zellulose zu verwerten.
Hier kommen jedoch die Wiederkäuer ins Spiel. Kühe, Schafe und Ziegen wiederum können Gras nicht nur verdauen – sie verwandeln es sogar in hochwertige Proteine: Milch, Käse und Fleisch. Diese Tiere schließen somit eine zentrale Lücke im Ernährungssystem, indem sie unbrauchbare Biomasse in nahrhafte Lebensmittel umwandeln. Ohne sie bliebe der Großteil der globalen Agrarfläche nämlich ungenutzt – oder müsste durch künstliche, ressourcenintensive Eingriffe verändert werden.
Weidetiere als Humusbildner
Fruchtbare Böden sind kein Selbstverständnis – sie sind ein Produkt ökologischer Prozesse, die oft über Jahrtausende ablaufen. Die Schwarzerden der Ukraine, die zu den fruchtbarsten Böden der Welt zählen, sind ein gutes Beispiel: Sie entstanden durch das Zusammenwirken von Graswachstum, Beweidung, Tierdung und Bodentieren.
Weidetiere tragen somit wesentlich zur Bildung von Humus bei. Ihr Kot enthält Fasern, speichert Feuchtigkeit und ist ein Lebensraum für Milliarden Mikroorganismen. Gleichzeitig fördert der Tritt der Tiere die Durchmischung des Bodens und das Wachstum neuer Gräser. Dieses Zusammenspiel ermöglicht den Aufbau eines lebendigen, fruchtbaren Bodens – ein Prozess, den Handelsdünger nicht nachahmen kann. Im Gegenteil: Handelsdünger wird rasch ausgewaschen, belastet Gewässer und fördert langfristig die Bodenerosion. Weltweit gehen jährlich nämlich Millionen Hektar fruchtbaren Bodens durch Erosion verloren – eine stille Katastrophe, die sich kaum rückgängig machen lässt. Weidetiere hingegen helfen, dieses Kapital der Menschheit zu bewahren.
Klima: Methan kontra CO₂-Speicherung
Oft wird der Methanausstoß von Kühen als Argument gegen Weidetiere verwendet. Und tatsächlich ist Methan ein potentes Treibhausgas, das deutlich klimaschädlicher wirkt als CO₂. Doch im Vergleich zu CO₂ hat es einen entscheidenden Vorteil! Das von Rindern ausgestoßene Methan hat nämlich eine vergleichsweise kurze Lebensdauer in der Atmosphäre. Nach etwa zehn Jahren wird es abgebaut und wieder in den natürlichen Kohlenstoffkreislauf integriert. Es gelangt somit zurück in den Boden und wird von Pflanzen und Gräsern aufgenommen, die wiederum vom Rind gefressen werden. Das Methan befindet sich somit in einem geschlossenen Kreislauf. Es handelt sich dabei nicht um ein zusätzliches Treibhausgas, das dauerhaft in der Atmosphäre verbleibt, sondern um den Teil eines natürlichen, zyklischen Prozesses.
Gleichzeitig speichern humusreiche Böden, die durch Weidewirtschaft entstehen, aber auch große Mengen CO₂ – dauerhaft und sicher. Während industriell erzeugtes Fleisch auf Futtermittelimporte, Pestizide und fossile Energie angewiesen ist, beruhen extensive Weidesysteme auf lokalen, geschlossenen Kreisläufen. Die Netto-Klimabilanz von naturnaher Weidehaltung kann unter dem Strich sogar positiv sein. Zum Vergleich: In den landwirtschaftlich genutzten Flächen in Deutschland sind etwa 2,4 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Damit bevorraten die Böden mehr als doppelt so viel Kohlenstoff wie der gesamte Baumbestand in deutschen Wäldern.
Artenvielfalt erhalten – Weidetiere als Landschaftspfleger
Ein weiteres Argument für Weidetiere zeigt sich in den Alpen: Seit Jahrhunderten grasen hier Kühe, Schafe und Ziegen. Auf diesen Alpweiden hat sich eine enorme Artenvielfalt entwickelt – mit seltenen Alpenkräutern, Blumen, Insekten und Vögeln. Wird die Beweidung eingestellt, verbuschen diese Flächen rasch. Vor allem Grünerlen wuchern, verdrängen die Artenvielfalt und lassen die Böden versauern.
Diese Prozesse haben nicht nur ökologische, sondern auch sicherheitsrelevante Folgen: Die Gefahr von Lawinen steigt an steilen Hängen, die von Gehölzen überwuchert werden. Forschungen zeigen, dass gezielte Beweidung, etwa mit robusten Engadinerschafen, helfen kann, solche Gebiete wieder zu öffnen. Die Schafe fressen bevorzugt die Rinde der Erlen, was diese Pflanzen schwächt und zurückdrängt. Dadurch entstehen wieder offene Flächen, auf denen die alpine Flora aufblüht.
Weidetiere – unverzichtbar für eine nachhaltige Zukunft
Weidetiere sind keine Auslaufmodelle. Sie sind essenziell für eine Landwirtschaft, die unsere Ressourcen achtet, natürliche Kreisläufe nutzt und langfristig Bestand hat. Durch ihre Fähigkeit, Gras in wertvolle Lebensmittel für den Menschen zu verwandeln, leisten sie einen unschätzbaren Beitrag zur Ernährungssicherheit. Sie fördern die Bildung fruchtbarer Böden, helfen, CO₂ zu speichern und erhalten unsere Kulturlandschaften offen und vielfältig.
Statt pauschal Tierhaltung zu verurteilen, brauchen wir eine differenzierte Diskussion: Weg von der industriellen Massentierhaltung – hin zu einer artgerechten, regional verankerten Weidewirtschaft. Nur so können wir Tierwohl, Umweltschutz und Ernährungssicherheit in Einklang bringen. Weidetiere sind keine Klimasünder – sie sind vielmehr ein Teil der Lösung.
Warum Bio und Weidehaltung untrennbar zusammengehören
Die Diskussion über Tierhaltung darf nicht pauschal geführt werden. Vielmehr ist entscheidend, unter welchen Bedingungen Tiere leben. In der biologischen Landwirtschaft ist Weidehaltung nicht nur eine Option, sondern gesetzlich vorgeschrieben und fest im System verankert. Kühe, Schafe und Ziegen haben hier Zugang zu Weideflächen, bewegen sich artgerecht und leisten durch ihre natürliche Lebensweise gleichzeitig einen wertvollen Beitrag für Umwelt und Gesellschaft.
Diese biologische Form der Tierhaltung sorgt für fruchtbare Böden, unterstützt den Humusaufbau, bindet CO₂ und erhält die Artenvielfalt. Wer also zu Bio-Fleisch aus Weidehaltung greift, entscheidet sich nicht nur für mehr Tierwohl, sondern auch für nachhaltige Landwirtschaft und hochwertige Lebensmittel, die Umwelt und Klima schonen.
Titelbild © ARGE Nahtürlich Bio